Die Ornithopteren, zu deutsch Vogelflügler oder Vogelflügelfalter, sind schon immer für schwärmerische Bewunderung gut gewesen. Sie kennen diese Schilderungen? Ich bringe sie trotzdem noch einmal. Die erste in Europa bekannte Art der Gattung brachten die Niederländer von Ambon (Amboina) mit und Linné beschrieb sie unter dem Namen Papilio Priamus als erste Art seiner Ordnung Lepidoptera mit der Bemerkung:
Papilionum omnium Princeps longe augustissimus, totus holosericeus, ut dubitem pulchrius quidquam a natura in insectis productum.
[Der bei weitem erhabenste Fürst aller Schmetterlinge, ganz in schimmernde Seide gekleidet und zweifellos das Schönste, was die Natur unter den Insekten hervorgebracht hat.]
Als Alfred Russell Wallace 1859 auf der Molukkeninsel Bacan (Bachan, Batjan) das erste Exemplar von Ornithoptera croesus fing, notierte er in sein Tagebuch:
The beauty and brilliancy of this insect are indescribable and none but a naturalist can understand the intense excitement I experienced when I at length captured it. On taking it out of my net and opening the glorious wings, my heart began to beat violently, the blood rushing to my head, and I felt more like fainting than I had done when in apprehension of immediate death. I had a headache the rest of the day, so great was the excitement produced by what will appear to most people a very inadequate cause.
[Die Schönheit und der Glanz dieses Falters lassen sich nicht beschreiben, und nur ein Naturforscher wird die intensive Erregung verstehen können, die ich empfand, als ich ihn endlich fing. Als ich ihn aus dem Netz nahm und die prachtvollen Flügel entfaltete, begann mein Herz heftig zu schlagen, das Blut stieg mir in den Kopf und ich fühlte mich einer Ohnmacht viel näher als in Momenten, da ich dem Tode ins Auge schaute. Den Rest des Tages hatte ich Kopfschmerzen, so groß war die Erregung, die von etwas hervorgerufen wurde, was den meisten Menschen als sehr unzureichende Ursache erscheinen wird.]
Die Artnamen waren teils aus der Mythologie entlehnt (Priamus, Poseidon, Croesus, Lydius, Tithonus, Hekuba, Chimaera, Goliath), teils nach Herrschern oder Naturforschern gebildet (Queen Victoria, Queen Alexandra, Radscha Brooke, Dumont d’Urville, Rothschild), teils – vor allem bei Unterarten – geographischen Ursprungs.
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Otto Staudinger war zweifellos ein ehrenwerter und integrer Mann, sowohl privat wie auch als Wissenschaftler. Obwohl er zum Gelderwerb auch Insektenhandel betrieb, hatte er eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung genossen (er promo-vierte „De Sesiis agri berolinensis“) und war immer zuerst Biologe, danach erst Händler. Kollegen, die für eigene Untersuchungen Vergleichsmaterial benötigten, erhielten bereitwilligst Falter (auch Typen) aus seinen Beständen zur Bearbeitung ausgeliehen. Staudinger hat die lepidopterologische Erforschung vor allem der östlichen Paläarktis, aber auch fernerer Erdteile gefördert, indem er Sammler gezielt in unerforschte oder wenig bekannte Gebiete schickte bzw. Ausbeuten von dort aufkaufte. Lange nach Staudingers Tod gelangte die Geschichte in Umlauf, wie Prof. Thieme in den kolumbischen Zentralkordilleren Schmetterlinge sammelte und ihn die Indianer, die dies beobachteten, daraufhin mit dem verballhornten, aber noch erkennbaren Wort „Staudinger“ angesprochen haben sollen. Si non e vero e bon trovato…
Nur ein einziges Mal leistete Staudinger sich eine wirkliche Usurpation. Im gleichen Atemzuge hat er sich auch schon dafür entschuldigt und sein Verhalten erklärt. Dies geschah bei der Entdeckung von Ornithoptera paradisea. Die nüchternen Fakten des Falls sind diese: Der Sammler Carl Wahnes erhielt Anfang der 1890er Jahre im damaligen Deutsch-Neu-Guinea den von einem Einheimischen gefangenen Falter einer unbekannten Ornithoptera-Art. Diese Art gehörte offenbar zu einer ganz neuen Artengruppe innerhalb der Gattung (später wurde noch eine weitere Art dieser Gruppe entdeckt), bei der die Männchen außergewöhnlich geformte, in ein Schwänzchen auslaufende Hinterflügel besitzen, wie sie aus der Gattung Ornithoptera bis dahin nicht bekannt waren. So ungewöhnlich war dieser Habitus, daß sich manche Leute nach der ersten Veröffentlichung fragten, ob hier nicht jemand die Flügel irgendeines „normalen“ Ornithoptera mit einer Schere zurechtgestutzt habe. Wahnes verkaufte seine Ausbeuten an den begüterten Landgerichtsrat und Sammler exotischer Schmetterlinge Wolf von Schoenberg in Naumburg/Saale. Dieser war nicht in der Lage, die Art wissenschaftlich zu beschreiben und überließ diese Aufgabe dem Wiesbadener Sanitätsrat Dr. Arnold Pagenstecher, der sich als Entomologe unter anderem durch die Bearbeitung indoaustralischer Tagfalter einen Namen gemacht hatte. Die einzige Bedingung, die Schoenberg daran knüpfte, war, daß die Art nach ihm „Ornithoptera schoenbergi“ genannt werden sollte. Nun fragte Pagenstecher bei Staudinger an, ob er ihm verschiedene Ornithoptera-Falter zu Vergleichszwecken für die Beschreibung zur Verfügung stellen könne und fügte auch ein Foto und Zeichnungen des neuen Tiers – eines leicht beschädigten Männchens – bei. Staudinger war fasziniert. Er erklärte die Art für neu, lieh Pagenstecher das gewünschte Material aus und schlug ihm vor, das Tier Ornithoptera paradisea zu nennen. Auf diesen Namen verfiel er einerseits wegen der Schönheit des Falters und andererseits wegen der Parallele zu den im gleichen Gebiet beheimateten und mit langen Schwanzfedern versehenen Paradiesvögeln. Pagenstecher bedankte sich und teilte mit, der Name paradisea sei ihm – unabhängig von Staudinger – auch durch den Kopf gegangen, aber er stehe bei Schoenberg im Wort und müsse die Art deshalb schoenbergi taufen. Das hat Staudinger nicht verkraftet. In aller Eile verfaßte er nach Pagenstechers Foto eine Beschreibung der Art unter dem Namen „Ornithoptera Paradisea“ und reichte sie bei den „Entomologischen Nachrichten“ ein, wo sie bereits Ende Juni 1893 erschien. Pagenstechers Aufsatz in den „Jahrbüchern des Nassauischen Vereins für Naturkunde“ kam erst Anfang Oktober 1893 heraus. Sonderdrucke verschickte er zwar schon Anfang August, aber das konnte nichts mehr ändern. Staudinger gab ehrlich zu:
Dass meine erste Beschreibung der Orn. Paradisea […] nur mangelhaft sein konnte, hatte darin seinen Grund, dass ich dieselbe noch gar nicht in natura gesehen hatte, wie Herr Dr. Pagenstecher dies […] ganz richtig angiebt. Es ist dies das erste und gewiss das letzte Mal, dass ich eine Art, die mir nicht vorlag, beschrieb. Der Grund dafür war der, dass ich mit Leib und Seele über 40 Jahre lang Lepidopterolog bin, und dass mir der Gedanke schier unerträglich war, dass die wunderbarste aller Papilioniden nicht einen Namen bekommen sollte, der mir nicht nur der passendste, sondern auch als ein sehr schöner erschien. […] Deshalb hoffe ich auch, dass weder der Autor von Orn. Schoenbergi noch der Besitzer des ersten Stücks mir nachhaltig grollen werden, dass ich, der ich gewiss gar nicht „autorsüchtig“ bin, dies Mal ganz ausnahmsweise eine Beschreibung vorwegnahm, nur um für die wunderbarste aller Papilioniden den passendsten Namen zu „retten“. (Staudinger 1894)
Wer einmal eine Ornithoptera paradisea gesehen hat, kann Staudingers Beweggründe verstehen, umso mehr als Schoenberg nicht der Entdecker sondern nur der Käufer des Stücks gewesen war. Es wirft aber ein sehr bezeichnendes Licht auf Staudingers Aktivitäten und Verbindungen, daß er umgehend Kontakt zu dem auf Neuguinea tätigen Ethnographen und Sammler Jan Stanislaw Kubary anknüpfte, von dem er bereits im August 1893 ein aus der Raupe gezüchtetes Männchen und im Oktober weitere Exemplare, darunter auch 6 Weibchen erhielt. So konnte er im Januar 1894 eine ausführliche Beschreibung beider Geschlechter und eine gute Abbildung eines frischen Männchens liefern. In diesem Aufsatz „Ueber neu entdeckte Lepidopteren aus Deutsch Neu Guinea“ erhielt dann auch der eifrige Sammler eine schöne Art gewidmet: Tenaris kubaryi.