(leicht veränderte Fassung eines Kurzvortrags bei der Akademie für Analytische Irrelevanz am 1. April 2013)
Guten Abend, meine Damen und Herren,
Wenn Sie sich für das „Großwild“ unter den europäischen Schmetterlingen interessieren, dann ist Ihnen sicherlich der aparte Pfauenspinner Actias isabellae bekannt. Mitte des 19. Jahrhunderts in Zentralspanien entdeckt wurde die Art lange Zeit für eine Spezialität der iberischen Gebirge einschließlich der Pyrenäen gehalten. Spanische Entomologen erforschten ihre Biologie – die Raupen leben an Kiefern, die Falter fliegen je nach Standort zwischen März und Juli in Höhenlagen von 500 bis 1800 Metern. Die Art verträgt weder große Hitze noch extreme Trockenheit. Bald wurde das lokal in den spanischen Sierras vorkommende Tier so etwas wie ein lepidopterologisches Wappentier Spaniens.
Daher war die Aufregung groß, als Actias isabellae ganz überraschend in den 1920er Jahren auch in den französischen Alpen gefunden wurde. Vielleicht hätte Charles Oberthür, in dessen Händen die ersten französischen Exemplare landeten, etwas taktvoller und sensibler vorgehen können. Aber als begeisterter Patriot ließ er es sich nicht nehmen, in diesen Tieren aus der Region um Briançon eine eigene Unterart zu erkennen und taufte sie auch noch, vielleicht etwas unbescheiden, „ssp. galliaegloria“.
Bald wurden in Spanien und auch anderswo Stimmen laut, die den indigenen Status der französischen Population bezweifelten. Schon damals wurde die Art nämlich gern gezüchtet und Zuchtmaterial aus Spanien an ausländische Entomologen verschickt.
Aber der Entdecker der französischen Population, Dr. Hubert Cleu, war eine über jeden Verdacht erhabene ehrliche Haut, und den Anwohnern der Gegend soll der Falter auch schon jahrelang vertraut gewesen sein (schrieb jedenfalls eine französische Zeitschrift).
Und so wurde Actias isabellae immer bekannter und immer häufiger gezüchtet und – o Wunder – im Verlauf des 20. Jahrhunderts erweiterte sich das Verbreitungsgebiet der Art vom Département Hautes-Alpes auf die Départements Alpes-de-Haute-Provence, Drôme und Ardèche. Neuerdings kommt Actias isabellae sogar im Französischen Jura bei Génissiat im Département Ain vor – schon recht weit im Norden, ungefähr auf Höhe der Walliser Alpen.
Das Wallis war schon seit dem frühen 19. Jahrhundert ein für damalige Verhältnisse intensiv besammeltes Gebiet und eines der meistbesuchten der Alpen. Generationen von Sammlern aus aller Herren Länder und eine Reihe Schweizer Faunisten – einige davon im Wallis ansässig – durchforschten den Kanton. Schon Boisduval beschrieb Arten aus dem Wallis, die er zumeist von den Andereggs erhalten hatte. Namen wie valesiaca, valesiana, valesiella, simplonia, simplonica, simplonialis oder auch andereggi findet man in fast allen Schmetterlingsfamilien. Merkwürdigerweise aber blieb eine überaus auffällige Walliser Art jahrhundertelang allen Entomologen verborgen: Actias isabellae. Erst nachdem 1987 und 1988 ausländisches Zuchtmaterial (Puppen und Falter) der Art an einem mit Kiefern bewachsenen Steilhang ausgesetzt worden waren, konnte man einige Jahre später eine starke Population dort nachweisen. Glücklicherweise war an diesem Standort vor 1987 nie Lichtfang betrieben noch waren Anlockversuche mit Actias-isabellae-Weibchen durchgeführt worden. So darf man mit Fug und Recht behaupten, daß es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Art vor 1987 dort noch nicht vorgekommen ist. Und natürlich ist es auch keineswegs ungewöhnlich, daß eine Art, die in den Kiefernwäldern der spanischen Sierras großflächig verbreitet ist, im Wallis ganz punktuell nur einen einzigen Talhang besiedelt. Die Population ist ja noch nicht lange bekannt; da bleibt viel Zeit, sie auch noch an anderen Standorten zu „entdecken“.
Aus dem italienischen Aostatal liegt inzwischen ebenfalls ein Nachweis (oder Nachweise?) von Actias isabellae vor, eine Angabe, die in einem 2006 erschienen Werk zwar noch als „unconfirmed“ bezeichnet wird, aber somit immerhin publiziert ist. Man darf vermuten, daß sich die Sachlage wohl ähnlich wie im Wallis darstellt. Das Aostatal hat den Vorteil, daß es historisch bei weitem nicht so intensiv und noch nicht so lange durchforscht wurde wie das Wallis. Wenn der Entdecker klug ist, hat er den Falter an einer Stelle nachgewiesen, die früher noch nicht besammelt wurde.
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Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es wirklich Zeit, daß diese prächtige Art endlich auch in Deutschland auftaucht. Vielleicht wird schon im nächsten oder übernächsten Jahr einer von Ihnen der Glückliche sein, der den reißerischen Titel dieses Beitrags wahrmacht und Actias isabellae als „neu für Deutschland“ meldet.
Wir können sogar, nach allem, was wir über die erstaunliche Verbreitung der Art in den Alpen wissen, schon ziemlich genau vorhersagen, wo isabellae in Deutschland nachgewiesen wird. Da sie eine atlantomediterrane, südwestliche Art ist, wird auch ihr erstes Vorkommen in Deutschland im Südwesten liegen. Der Lebensraum muß ein Kiefernwald sein, am besten ein lichter Bestand und am besten an einem natürlichen Kiefernstandort, etwa an Steilhängen und Felsköpfen der südwestlichen Schwäbischen Alb oder des Wutachgebietes oder an Südhängen des Schwarzwalds. Es wird sich um einen Lebensraum handeln, der möglicherweise schwer zugänglich ist, der auf jeden Fall bisher nicht oder nur sehr ungenügend auf Nachtfalter hin untersucht worden ist. Wo solche Stellen liegen, läßt sich unschwer der faunistischen Literatur oder den Online-Kartierungsdaten entnehmen (Bearbeitungsstand-Karte).
Da der Französische Jura bereits ein Vorkommen von Actias isabellae beherbergt, ist es sehr plausibel, die Art auch im Schweizer Jura oder in der weiteren Fortsetzung des Jurazugs, im Randen, im Alb-Wutach-Gebiet oder auf der Schwäbischen Alb aufzufinden. Im weiteren Verlauf der Erforschung ihrer Verbreitung kann sie dann auf der Fränkischen Alb auftauchen, aber das ist vorläufig noch Zukunftsmusik. Vielleicht ergeben sich ja bis dahin auch Nachweise in Österreich – noch ein Actias-isabellae-bedürftiges Land mit vielen Schmetterlingszüchtern und interessanten Kiefernbeständen. Aber vorher sollten noch die A.-isabellae-Standorte in der Lombardei, im Gardaseegebiet, in den Lessinischen Voralpen oder im Friaul entdeckt werden, damit die geographischen Lücken in der Verbreitung nicht allzu groß sind.
Durch die wunderbare Vorarbeit der französischen, Schweizer und italienischen Kollegen haben nun die deutschen und österreichischen (und womöglich die liechtensteiner?) Entomologen die phantastische Chance, Actias isabellae in ihren Heimatländern als bodenständig zu bestätigen.
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Aber die Zeit drängt. Auch in anderen Ländern gibt es eifrige Saturniidenzüchter. Wir wollen möglichst vermeiden, daß die deutschen und österreichischen Vorkommen von Actias isabellae erst dann entdeckt werden, nachdem die Art schon in Polen, Tschechien, der Slowakei, in Ungarn oder in den Balkanländern aufgefunden wurde. Auch die italienischen Kollegen haben die Zeichen der Zeit verstanden und werden dem Nachweis im Aostatal zweifellos weitere Funde, vielleicht sogar südwärts bis in die Abruzzen, folgen lassen.
Ich darf Sie also alle auffordern, lieber heute als morgen mit der Suche nach einem geeigneten Standort für Actias isabellae zu beginnen. Wie das Schweizer Beispiel zeigt, ist es nicht einmal nötig, zu verheimlichen, daß man Eier, Raupen, Puppen und Falter an diesem Standort freigesetzt hat. Denn schon wenige Jahre später wird die Art in Bestimmungsbüchern oder im Internet ganz selbstverständlich mit einem Schweizer Landesfähnchen versehen und in der Aufzählung der Verbreitungsgebiete wird es schlicht heißen „…Switzerland (Valais)…“, ohne daß sich dann noch irgendjemand darum kümmert, wann und wie die Art dorthin gelangt ist. Hauptsache einheimisch. Hauptsache groß, bunt und auffällig. Hauptsache naturschutzrelevant und tourismusfördernd. Denken Sie nur an die Hotelkomplexe, die an solchen Fundorten entstehen könnten („Grand Hotel Isabella“, EZ HP während der Flugsaison € 120,-), oder das Wanderwegenetz („Rundweg zum Isabellawäldchen 2,5 Std.“) und all die Kioske und Frittenbuden entlang der Strecke („Isabelladöner € 4,20“). Denken Sie an die Andenkenläden und die Merchandising-Produkte, an die Isabellafalter-T-Shirts, Isabellafalter-Baseballkappen, Isabellafalter-Aufkleber, Isabellafalter-Anhänger, Isabellafalter-Nippesfigürchen, Isabellafalter-Badetücher, Isabellafalter-Handtäschchen, Isabellafalter-Kugelschreiber, Isabellafalter-Luftballons und Isabellafalter-Seifenblasendosen.
Und als der Entdecker dieser Population werden Sie vielleicht sogar subspezifische Unterschiede erkennen, die zur Beschreibung einer „ssp. germaniaegloria“ oder „ssp. austriaegloria“ führen. Oder die Unterart wird gleich nach Ihnen selbst benannt. Wäre das nichts?
Ich wünsche Ihnen bei dieser wissenschaftlich höchst wertvollen Tätigkeit viel Spaß und Erfolg und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Einen schönen Abend noch.
Mich erstaunt es immer wieder, ihrem Verbreitungsgebiet gemäß offenbar frostfeste Arten kennenzulernen, die es bei uns nicht gibt. Auch der Eichenschwärmer ist so ein Tier. Der Verbreitungskarte nach gibt es ihn in Gegenden viel härter Winter (nördliches Südosteuropa) als bei uns. Die Isabellae soll in Zentralspanien noch in 1500 m Höhe vorkommen – da ist es im Winter kälter als in Berlin oder gar im Rheintal.
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