Max Fingerling (1844-1904) war Kaufmann in Leipzig, passionierter Lepidopterologe, Vorstandsmitglied des örtlichen entomologischen Vereins und Mitverfasser der Schmetterlingsfauna der Leipziger Umgebung (1900). Daneben war er auch der Autor einiger Gedichte, die Aspekte der Geländearbeit zum Thema hatten und in den „Entomologischen Jahrbüchern“ erschienen.
Man begegnet hier einigen Utensilien, die heute nicht mehr hergestellt werden und der Erläuterung bedürfen. Bei der Klopfkeule („Klopfer, dreizehn Pfund“ 😀 ) handelte es sich um eine leder- oder gummiummantelte Eisenkugel, mit der man gegen kleinere Baumstämme oder starke Äste schlug, um die Raupen herunterzuklopfen. Gleichzeitig wurde der Klopfschirm darunter gehalten, ein spezieller Schirm, der auf der Innenseite der Streben bespannt war, um die herabfallenden Tiere nicht zu verletzen, und meistens sogar ein Gelenk besaß, um den Stiel zur bequemeren Handhabung rechtwinklig abzuknicken. Der Raupenkratzer wird von findigen Raupensuchern auch heute noch verwendet; es ist eine handelsübliche, kurzstielige Gartenharke (mit nicht zu spitzen Zinken), mit der man die obere Laubschicht abträgt oder Grasbüschel öffnet. Unter dem Sesienschneiden versteht man das Heraussägen oder -schneiden von Ästen, Zweigen oder Trieben, in denen sich die Fraßgänge von Sesien(Glasflügler)raupen befinden.
Die Stelle „Pustulata-Raupen zu vergleichen“ bezieht sich auf die Eigenschaft der Raupen von Comibaena bajularia (C. pustulata), sich mit locker um ihren Körper zusammengesponnenen Pflanzenteilchen zu tarnen.
Bei der kurzweiligen Darstellung kann man über den etwas eigenwilligen Gebrauch des Gedankenstrichs hinwegsehen. 😉
MAX FINGERLING
Tagewerk des wahren Lepidopterologen (1896)
Früh dreiviertel drei
Ist der Schlaf vorbei:
Daß er carmelita nicht versäume, –
Auf zum grünen Wald!
Warte, warte, bald
Schlägt er donnernd an die hohen Bäume.
Kleiner Has‘ und Reh
Fliehen voller Weh,
Eichhorn voltigiert wie ein Bereiter;
Braver Förster zankt,
Doch der Sammler wankt
In ein andres Holz, – dort klopft er weiter.
Mit dem Stock den Busch
Schlägt er dann, husch, husch,
Daß die Raupe in den Schirm ihm falle, –
Auch ein Falter fällt, –
Sag‘ ade der Welt,
Denn das Glas mit Gift verschlingt euch alle!
Gott, wie sieht er aus, –
Wahrlich, ’s ist ein Graus;
Angethan mit Stock, Schirm, Sammeltaschen,
Grüner Trommel! Und
Klopfer, dreizehn Pfund,
Hemmt gewaltsam seinen Schritt, den raschen.
Was vom Baume fiel,
Rinde, Blatt und Stiel,
Nadeln, Flechten, Moos von Tann‘ und Eichen,
Alles hängt ihm an,
Und so ist er dann
Pustulata-Raupen zu vergleichen!
Und manch böses Tier
Trinkt mit wilder Gier
Spitzen Rüssels ihm aus Hals und Wange
Proben seines Bluts.
Ob er zuckt? – „Was thut’s,
Wenn milhauseri ich nur erlange!“
Ohne aufzusehn
Klopft er bis um zehn,
Ob wie Regen auch der Schweiß ihm fließe, –
Nur zur Abwechslung
Macht er einen Sprung
Jenseits nach der blumenreichen Wiese.
Heller Sonnenschein, –
Bläuling zart und rein, – –
Rasch das Netz nun statt der Donnerkeule! –
Weißes C und Fuchs,
Pfauenauge, flugs
Jagt er sie in atemloser Eile.
Über Stock und Stumpf,
Durch Morast und Sumpf,
Daß die Büchsen klappern und die Kasten,
Bis er endlich matt
(– Wenn er alle hat –)
Sich ins Moos wirft, – glaubt ihr, um zu rasten?
Nein, – „Hier kratz‘ ich noch,
Schönster Kratzplatz doch,“ –
Ja, dem Sammelsack entsteigt die Kratze,
Und triangulum,
Ditrapezium,
Und janthina trägt er froh vom Platze.
Über dem Pläsir
Sind zwei Stunden schier
Hingegangen, und der Mittag läutet, –
Endlich lenkt sein Sinn
Nach dem Graben hin, –
Wie ein Polster liegt er ausgebreitet!
Wißt ihr – was er thut?
Meint ihr, daß er ruht,
Daß er higestreckt und voll Verlangen
Kaltes Mahl genießt?
– Weit gefehlt! – – Er spießt,
Spießt die Falter, die ins Netz gegangen!
Doch am Himmel, schau,
Schwindet alles Blau,
Drüben grollt’s mit nahem Donnerschlage,
– Rasch bedeckt er treu
Seine Spießerei,
Auch die Weiber mit der Eiablage.
Klopfschirms Regendach
Ist defekt und schwach,
Und von acht drei Stäbe sind zerbrochen,
Ohne Unterlaß
Strömt es, – er wird naß,
Pudelnaß fürwahr bis auf die Knochen!
Innerstes Gewand
(Schlechthin „Hemd“ genannt)
Kalt und naß umschließt es seine Glieder,
„Unterbrechung! – dumm!“
Lautet sein Gebrumm, –
Doch sogleich erheitert er sich wieder!
Denn schon blitzt von fern
Neu der Sonnenstern …
„– Solch ein Huschchen kann man schon erleiden,
Nahm ich denn zum Spaß
Hier mein Honigglas
Und die Säge mit zum Sesienschneiden?“
Ja, mit nassem Strumpf
Steht er, Klotz und Stumpf
Sägt er knieend los von Birk‘ und Weide.
Mitgebrachten Sack
Füllt er, – Huckepack,
Trägt er jubelnd seine Sesienbeute!
Wie er vorwärts hinkt,
Schon die Sonne sinkt, –
Nur sein Sammelmut sinkt nicht wie diese.
– – Alles (seit er kam),
Was er zu sich nahm,
War ein Zwieback nur und eine Prise!
Keucht er n u n nach Haus‘?
O, er lacht euch aus – –
„In der Dämm’rung fängt man erst das Beste.“
Und mit starker Hand
Schlingt das Köderband
– 30 Meter lang er um die Äste!
Schwarmweis‘, reich an Gier
Naht das Eulentier,
Und er hascht, – er stünd‘ bis früh, ich wette,
Wenn von hinten nicht
Gauner, rauberpicht,
die Laterne ihm entrissen hätte!
„Muß die Exkursion,“
– Ruft er voller Hohn, –
„Durch den Schuft schon unterbrochen werden?!“
Doch, – ein Trost, d e n Fang,
Der ihm heut gelang,
Schleppt ihm fort kein Strauchdieb wohl auf Erden!
Mitternacht! Zu Haus!
Ach, nun packt er aus,
Bückt sich froh zum Ordnen und Verteilen,
Schachtelt Weibchen sacht,
Lebend mitgebracht, –
Füttert Raupen, nadelt Köder-Eulen.
Stiefel, naß und schwer,
Magen heiß und leer,
O, sein müdes Auge schließt die Pforten,
Hand zerkratzt, voll Horn,
Rock voll Klett‘ und Dorn,
Und zum Schlappfilz ist der Hut geworden!
Aber – ungebeugt
Er zu Bette steigt,
Neigt sein Haupt in die bequemste Lage,
– Und er lallt gemach:
„Solch ein Sammeltag
Bleibt der schönste der Erholungstage!“
Siehe auch
Lepidopterologische Lyrik, 1
Lepidopterologische Lyrik, 2
Lepidopterologische Lyrik, 4
Lepidopterologische Lyrik, 5
Lepidopterologische Lyrik, 6
Lepidopterologische Lyrik, 7
Lepidopterologische Lyrik, 8