Butterflies – Es gibt keine englischen Schmetterlinge

(Was die Wikipedia nicht weiß, Folge 265)
Immer wieder behauptete Unwahrheiten werden nicht zu Wahrheiten,
sondern, was schlimmer ist, zu Gewohnheiten.
Oliver Hassencamp (1921-1988)

„Na schön,“ werden Sie sagen, „es gibt jede Menge Dinge, die in der Wikipedia entweder gar nicht oder falsch oder mißverständlich drinstehen.“ Hier aber versagen außer der Wikipädie auch eine ganze Menge weiterer Nachschlagewerke, nicht nur Online-Quellen sondern sogar ehrwürdige gedruckte Werke.

Schlägt man in der deutschsprachigen Wikipedia das Stichwort „Butterfly“ nach, dann liest man im ersten Satz:

          „Butterfly (englisch Schmetterling) … … …“

Und so steht es leider immer noch in den meisten Wörterbüchern.

Ist das denn falsch? – Ja, das ist falsch.

„Butterfly“ ist mit Sicherheit eines der am häufigsten falsch übersetzten Wörter der englischen Sprache.

Sicher, es gab Leute (und es gibt sie vielleicht immer noch), die sympathetic mit „sympathisch“ übersetzten, principally mit „prinzipiell“, consequent mit „konsequent“ und personal computer mit „Personalcomputer.“ Alles falsch… Klar, das wissen Sie natürlich: sympathetic bedeutet teilnahmsvoll, mitfühlend, verständnisvoll („sympathisch“ wäre engaging, likeable). Principally bedeutet Haupt-, hauptsächlich („prinzipiell“ wäre on principle). Consequent bedeutet folgend, sich ergebend aus („konsequent“ wäre consistent). Personal computer bedeutet persönlicher Rechner („Personal“ wäre personnel). Sie kennen diese sogenannten „falschen Freunde“. Braucht man nicht weiter auszuführen.

Aber kommen wir zurück zu butterfly.
Keine Angst, ich will Ihnen nicht weismachen, daß es „Butterfliege“ heißen sollte. Aber „Schmetterling“ ist falsch. Schlimmer noch, es ist irreführend, denn es gibt in der englischen Sprache überhaupt kein Wort für „Schmetterling“. Wenn man die ganze Ordnung der Schmetterlinge meint, muß man im Englischen zu dem Fremdwort Lepidoptera greifen. Butterfly bezeichnet nämlich lediglich – ausschließlich – die Tagfalter, oder um genauer zu sein die Überfamilie Papilionoidea (oder die Papilionoidea und Hesperioidea, falls man den Hesperiidae eine eigene Überfamilie zubilligt, was immer seltener vorkommt). Alle anderen Schmetterlinge, also die große Mehrzahl, sind im Englischen moths. Im Deutschen gibt es eine Parallele im volkstümlichen Gebrauch, auch hier werden oft alle Nicht-Tagfalter vom Schwärmer bis zur Urmotte mit dem sehr unscharfen Ausdruck „Motten“ bezeichnet. Nur haben wir eben den Überbegriff „Schmetterlinge“, der im Englischen fehlt. Deshalb heißen englische und amerikanische Schmetterlingswerke „The moths and butterflies of Great Britain and Ireland“ oder „The Lepidoptera of Newfoundland“ undsoweiter. Ein Vorteil ist, daß man einem Titel „The Butterflies of …“ sofort ansieht, daß es nur um Tagfalter geht.

Wer die Bedeutung des Worts butterflies nicht kennt, kann in verschiedene unangenehme Fettnäpfchen treten. Es gibt Dutzende von deutschen und anderen kontinentaleuropäischen Veröffentlichungen, die sich mit Nachtfaltern oder auch mit Tag- und Nachtfaltern beschäftigen, und bei denen der Autor im englischen abstract nur von butterflies spricht. In den Referierorganen wie Zoological Record oder Entomology Abstracts werden solche Arbeiten dann unter den Tagfalterpublikationen aufgeführt. Fremdsprachigen Lesern, die Nachtfalterpublikationen suchen, entgeht das Zitat dann natürlich, während Tagfalterspezialisten, die sich den vermeintlichen Tagfalterartikel kommen lassen, ebenfalls enttäuscht werden. Und der Autor in seiner Ignoranz wundert sich dann noch, warum seine Arbeiten nicht international bekannt werden. Heute kann man Publikationen meistens als PDF erhalten und in beliebiger Menge selbst verschicken; das erleichtert zwar die Verbreitung, löst aber nicht das zugrundeliegende Sprachproblem.

Es gibt viel schlimmere Auswirkungen. Ein bedeutendes Institut, dessen Namen zu nennen die Pietät verbietet, konnte in den achtziger Jahren eine Frühjahrsexpedition nach China organisiseren, bei der man besonders die in dieser Jahreszeit praktisch unbekannte Nachtfalterfauna erforschen wollte. Man hoffte auf novae species en gros. Als die Expeditionsteilnehmer aber an Ort und Stelle ihre Lichtfanganlagen aufstellen wollten, hoben die Chinesen den Zeigefinger und hielten ihnen den (englischsprachigen) Vertrag unter die Nase. Da stand, daß sie butterflies fangen durften, weiter nichts. Von moths war nicht die Rede. Die Chinesen waren sachlich im Recht und blieben hart. Da in dieser Jahreszeit tagfaltermäßig noch nicht viel los war, sind die Resultate dieser teuren Expedition leider kaum erwähnenswert. Was aus dem unglücklichen Menschen wurde, der den Vertrag auf deutscher Seite aufsetzte oder übersetzte, darüber schweigt die Fama. Interessant, daß Chinesen zuweilen besser englisch verstehen als deutsche Dialektsprecher.

Traurig ist, daß selbst viele Biolog/inn/en die Wortbedeutung nicht kennen. Ein Beispiel:

Der „Reiseführer Natur – Kreta“ aus dem BLV-Verlag, verfaßt von zwei deutschen Biologinnen, schreibt im Kapitel „Insekten und Spinnentiere“:

Daß diese niedrige Zahl nicht stimmen kann, weiß jeder, der sich mal ansatzweise mit Schmetterlingen beschäftigt hat. Man braucht dafür keine Faunenliste Kretas zu konsultieren. Und wie dieser Fehler zustande kam, können Sie sich inzwischen denken: Es handelt sich allein um die Tagfalter, und das Literaturverzeichnis des (ansonsten sehr empfehlenswerten) Kreta-Führers enthält denn auch das Buch von Pamperis (1997): „The butterflies of Greece“ – aber kein Werk über Nachtfalter oder Kleinschmetterlinge.

Es gibt viele ähnlich gelagerte Fälle. Wenn man mal darauf achtet, findet man sie auf Schritt und Tritt in Veröffentlichungen von Nicht-Lepidopterologen. Meistens rühren sie tatsächlich daher, daß ein „butterfly“ aus einer englischsprachigen Quelle mit „Schmetterling“ statt „Tagfalter“ fehlübersetzt wurde. Manchmal wird aber auch eine Angabe in einer deutschsprachigen Quelle, in der es um Tagfalter geht, schlampigerweise zu „Schmetterlinge“ verallgemeinert. Da tritt das fehlende biologische Allgemeinwissen, wie es in früheren Zeiten in der Schule vermittelt wurde, deutlich zutage (Mein Großvater hatte immerhin noch gelernt, zwischen „Tag-“ und „Nachtfaltern“ und „Motten“ zu unterscheiden).

In der Wikipädie müßte anstelle von
„Butterfly (englisch Schmetterling)“ also stehen
„Butterfly (englisch Tagfalter)“ oder „Butterfly (englisch Tagschmetterling)“.

Dabei fällt mir jetzt die wikipädische Unlogik auf, die in dieser Formulierung liegt, denn der in Klammern stehende Begriff ist natürlich nicht englisch sondern deutsch! Es sollte vielmehr heißen
Butterfly (englisch für Tagfalter) oder
Butterfly (engl.) (dt. Tagfalter) oder ganz einfach
Butterfly (engl.) (Tagfalter).

Aber Logik war nie die Sache der Wikipedia und da an anderen Stellen dieselbe Formulierung auftaucht (das heißt, das deutsche Wort wird als „englisch“ bezeichnet), werden die das wohl kaum ändern. Man wird sich wie immer darauf verlassen, daß der Durchschnittsleser die logischen Fehler nicht bemerkt. Mir ist es auch erst nach mehrmaligem Lesen aufgefallen.

Was soll man auch erwarten von einem Projekt, wo man nicht einmal in der Lage ist, ein hawaiianisch-englisches Wort (wiki- und [encyclo]-pedia) in ein hawaiianisch-deutsches Wort zu übertragen: Wikipädie müßte es im Deutschen lauten.

Übrigens, zum Thema Wikipädie-Unsinn: Ich dachte immer, die kleinsten Säugetiere der Welt seien die Schweinsnasenfledermaus (Körperlänge 29-33 mm) und die Etruskerspitzmaus (Körperlänge 35-48 mm), aber die deutschsprachige Wikipädie belehrt mich eines Besseren. Demnach gibt es ein Säugetier mit sage und schreibe nur 11 mm Körperlänge – kleiner als ein Ein-Cent-Stück! Ist natürlich blühender Blödsinn, steht aber online seit 2008. Ich verrate nicht, welches Tier das sein soll, weil ich beobachten möchte, ob das irgendwann vielleicht doch noch korrigiert wird.


Siehe auch
Pinien und Kiefern
Der Kleine Feuerfalter, der Schlangenknöterich und die Wikipädie
Die rechtsblockierte Hecatera dysodea – Wie eine Online-Enzyklopädie die Welt veräppelt
Phänologisches und Phäno-Unlogisches

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3 Antworten zu Butterflies – Es gibt keine englischen Schmetterlinge

  1. Rolf schreibt:

    Ich habe auch einige Fehler auf Wikipedia gefunden – z. B. Brauner Bär Arctia caja: laut Wikipedia ein „Kulturflüchter“. Das ist Quatsch: diese Art ist recht häufig und anpassungsfähig. Von Kulturflüchter kann keine Rede sein..

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  2. Rolf schreibt:

    Das haben die von mir. Ich hatte mal geschrieben, dass auf Kreta 45 Tagfalterarten existieren. Mehr dürften es auf dieser kargen Insel auch nicht sein. Ich war 1 Mal auf Kreta – und richtig enttäuscht von den wenigen Arten dort !

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  3. Tonton schreibt:

    Hallo, Wikipedia Artikel werden grösstenteils von anderen, teils sehr schlecht recherchierten Web-quellen „zusammengeklaubt“, dann noch von anderen Nichtsahnenden Hilfswilligen 5x korrigiert und geändert, bis ein 6. hinzu kommt, und noch ein paar Quellen fand, diese jedoch komplett aus dem Kontext „dazufummelt“

    Zwischendurch kommt dann noch jemand rein, der sich mal wirklich damit auskennt, 80-95% vom vorherigen Unsinn wenigstens grob bereinigt.
    Woraufhin die ersten 5-6 Mitarbeiter aber sofort auf die Seite zurückkommen, und die Hälfte der letzten Änderungen wieder zurücksetzen, da sie von ihren „Falschquellen“ überzeugt sind.

    Endergebnis: angehende Wissenschaftler schreiben dieses Zwischenergebnis dann auch noch in Ihren Doktorarbeiten ab (mit gewissenlicher Quellangabe), und das ganze Kunterbunt ist somit wissenschaftlich jetzt erwiesen.

    Vielen Dank für Ihren Artikel.

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