Die „leichtere“ Literatur über die Entomologie ist im deutschsprachigen Bereich immer noch recht dünn gesät. Man freut sich deshalb jedesmal, wenn man auf ein Stück stößt, das nicht nur entomologischen Ansprüchen genügt, sondern auch lebhaft und unterhaltsam geschrieben ist. Ein solches stelle ich hier vor. Es stammt von Engelbert Pawlik (1891-1976), der vor dem 2. Weltkrieg Lehrer und Schuldirektor in Aussig an der Elbe (Ùsti nad Labem, Tschechien) war und Insekten verschiedener Ordnungen sammelte. 1929 veröffentlichte er in der Entomologischen Zeitschrift die charmante kleine Erzählung „Hochwildjagd“, in der es um die Waffenfliege Clitellaria ephippium (Fabricius, 1775) geht, die damals noch Ephippiomyia ephippium hieß.
Hochwildjagd (Dipt.)
Von E. Pawlik, Außig (Elbe)
Als ich s i e zum ersten Male sah, war ich erstaunt. „Brasilien?“ fragte ich, todsicher, daß ich nichts Dummes sagte. Der alte Herr, der mir das sonderbare Ding unter die Nase hielt, schüttelte den Kopf.
„Nein, Sebastiansberg im Erzgebirge. Nicht wahr, da staunen Sie. Man findet in der engbegrenzten Heimatfauna immer noch Sachen, die man nicht kennt, die selbst erfahrene Sammler ganz fremdartig anmuten. Übrigens habe ich für das Tierchen keine Verwendung. Nehmen Sie es mit und bestimmen Sie es.“
Richtig, an der Hand der analytischen Tabellen hatte ich sie gleich. „Ephippiomyia ephippium.“ Ein süßer Name! „Sattelfliege.“ Das rotfilzige Rückenschild trägt jederseits einen starken Dorn, die Flügel sind rußbraun, der Hinterleib ist blauschwarz: Also eine Waffenfliege (Stratiomyidae).
So lernte ich s i e kennen. Seither hielt ich auf meinen Streifzügen durch Wiese und Wald die Augen offen, ob mir das hübsche Flieglein nicht auch bei uns einmal im Freien begegne. —
Einige Wochen später schrieb Theophil. Ein grundgelehrtes Haus und Zoologe von Ruf. Er arbeitet augenblicklich an einer „Fliegenfauna des historischen Landes Böhmen.“ „Ich brauche,“ schrieb er, „notwendig genaue Fangdaten von Ephippiomyia ephippium. Verschaffe mir welche!“
Da hatte ich es! Nun war es mit meiner Ruhe vorbei: An jedem taufrischen Sonntagsmorgen rückte ich aus, schwer bewaffnet, um der Spur des edlen Wildes nachzupürschen. Der Schillergrund bei Waldschnitz war ein stummer Zeuge heißen Bemühens. Naß vom Tau troff das Gras der Wiesen, auf den Blättern der Büsche glitzerten tausend Perlen. Der hohe Walddom atmete noch Feuchtigkeit. Irgendwo rief ein Kuckuck. Eine Spitzmaus huschte über den Weg. Mit steigender Sonne erwachte millionenfaches Leben im Tale. Pelzbienen, Gürtelbienen, Erdbienen, fleißige Honigbienlein summten um die sich öffnenden Blumen, dicke, leuchtend bepelzte Hummelmütter trugen eifrig zu Neste.
In unnachahmlicher Eleganz stieg die K ö n i g i n d e s d e u t s c h e n W a l d e s, die schlanke große L a n g b o h r w e s p e (Rhyssa persuasoria) den alten Fichtenstamm auf und nieder. Langbeinige Schnaken tanzten den Hochzeitsreigen; auf den ersten, weißen Dolden raufte sich loses Fliegengesindel. Schweber standen stolz über duftenden Blüten. Bunte Falter gaukelten trunken über die Wiese im engen Tale, Grashüpfer turnten an schlanken Halmen, Zikaden erzeugten Schaumrollen, goldgepanzerte Caraben machten am Wege einen Stafettenlauf. Ach — die göttliche Stille! Hie und da lockte ein Vogel im Gezweige, raschelte ein aufgescheuchtes Reh im Buschwerk, huschte ein beim Sonnenbade gestörtes Eidechslein ins Gras. Und der Tschernischkenbach murmelte. Man trinkt die würzige Waldluft, weidet das Auge an dem farbenfrohen Bilde der Waldwiese, läßt sich die Sonne auf den Nacken brennen und hat außerdem noch seine besondere Freude an den Tausenden kleiner Lebewesen, die einen umschwirren, umsummen, umkrabbeln. Das unterscheidet den Entomologen vom gewöhnlichen Spaziergänger. Ich hatte mein großes Netz entfaltet, an den Spazierstock geschraubt und schöpfte aus dem Vollen. Das meiste von dem zappelnden Getier setzte ich wohl nach jedem Zuge wieder in Freiheit. Gute, alte Bekannte. — Nur was mir zweifelhaft schien oder unbekannt war aus den bevorzugten Familien, Fliegen und Hautflügler, wanderte ins Giftglas. Scharf paßte ich auf Dipteren. Doch die Sattelfliege ließ sich nicht sehen. Den Weg herauf kam ein Pärchen Homo sapiens. Arm in Arm. Ich sehe sie nicht gerne in meinem Jagdrevier. Wie jeder rechte Jäger. Darum hüte ich mich, Sonntag nachmittags meinem stillen Vergnügen nachzugehen. Richtig traf mich ein mitleidiger Blick aus schönen Augen. „Du“, hörte ich das hübsche Mädel im Weitergehen sagen, „der Kerl sieht doch gar nich’ so dämlich aus und läuft doch noch wie ’nen Schulbub mit ’nem Schmetterlingsnetze in der Wiese ’rum.“ Der Begleiter zuckte nachsichtig die Achseln. —
Jetzt stand ich wie angewurzelt bei einem Haselstrauche. Den umflog etwas. Es war ein stattlicher Zweiflügler, das erkannte ich am Fluge. Aber wie das Tier flog! N o c h n i e hatte ich etwas so flüchtiges, unstetes, Scheues gesehen. Es war u n m ö g l i c h, das Tier zu erkennen, g e s c h w e i g e denn zu f a n g e n. Blitzschnell flitzte es in wunderschönen Bogen ganz nahe an mir vorbei, immer den Strauch umkreisend. Dieser kühne Flieger war mir fremd. „Wer bist Du? Ich muß es wissen!“ Jetzt setzte sich das Tier, drei Schritte von mir entfernt, auf ein Blatt des Strauches. „Ephippiomyia ephippium“, die Sattelfliege! Theophil, wir haben sie! Schreibe in deine Fliegenfauna des historischen Landes Böhmen: „Schillergrund bei Waldschnitz!“ Vorsichtig holte ich mit dem Netze aus — mich hatte das Jagdfieber erfaßt, richtiges Jagdfieber — ein wuchtiger, wohlgezielter Schlag — einige Blätter tanzten zur Erde — das Netz war leer.
Ich biß mir die Lippen blutig. D a s war Pech! Ich wartete eine halbe Stunde, dann noch eine. Die Fliege kam nicht wieder, das Wild war vergrämt. Irgendwo läutete die Mittagsglocke. Als guterzogener Ehemann wollte ich mein Frauchen bei Tische nicht warten lassen. Ärgerlich, sehr ärgerlich machte ich mich auf den Heimweg. Als ich über das Brücklein schritt, das den Tschernischkenbach in kühner Wölbung überspannt, sah ich jemand in der Wiese stehen und wie wild mit einem lächerlich kleinen Schmetterlingsnetze um sich schlagen. „Siehe da, ein Kollege,“ dachte ich. Barfuß und barhaupt stand ein Knirpslein am schmalen Wiesenpfade, fast schlugen die Gräser über dem leuchtenden Flachskopfe zusammen. Unter dem Näschen glitzerte es feucht, und das Höschen war an bestimmter Stelle zum raschen Öffnen eingerichtet.
„Was machst Du, Kleiner? Fängst wohl Schmetterlinge?“
„Nein, Fliegen.“
„O, ein Dipterologe! Wozu fängst Du denn die Fliegen?“
„Für’n Vater. Der geht nachmittag fischen.“
„Hast Du schon welche erwischt? Zeig mal her!“
Der Kleine zeigte mir ein Fläschchen, in das er seine Beute stopfte. In dem schmutzig trüben Glase krabbelte und wirrlte ein dunkler Knäuel durcheinander, dicke Brummer, lange Fleischfliegen, bepelzte Schlammfliegen. Halt, da leuchtete auch etwas rotfilzig! Zwei mächtige Dornen ragten rechts und links. —
„Bub, Du bist ein Glückspilz! Diese e i n e Fliege da gibst Du mir, ich klopfe sie vorsichtig aus der Flasche heraus, daß keine andere entkommt. Ich schenke Dir eine Krone, da kaufst Du dir was Gutes.“
Das Büblein strahlte. Ich nicht weniger.
„Theophil, nun sollst Du auch das Belegstück erhalten.“