Rote Zitronenfalter

Because thou prizest things that are
Curious and unfamiliar.
Robert Herrick (1591–1674), Oberon’s Feast

Anfang des 20. Jahrhunderts war es eine Spezialität des entomologischen Vereins in Pforzheim, Gästen ein Exemplar der roten Form des Zitronenfalters (Gonepteryx rhamni) zu verehren. Allerdings waren diese Falter nicht so aus der Puppe geschlüpft, sie waren erst später durch menschliche Manipulation rot geworden.

Rote Citronenfalter.
Von C. Dietrich, Pforzheim.   [Entomologische Zeitschrift, 21: 212-213.]

In der grossartigen Sammlung meines Freundes, des Herrn Baumeisters M. Daub in Karlsruhe, steckt schon viele Jahre ein Stück Gonepteryx rhamni, das ähnlich der von Herrn Gillmer beschriebenen Aberration rubescens (rosea von Linstow) aussieht und, wenn ich mich recht entsinne, auch aus Schleswig mit anderen Sachen erworben wurde. Die Echtheit dieses Farbenspieles wurde bisher sowohl von meinem Freund D. als auch von mir angezweifelt. Vor einigen Jahren nun kam uns ein ähnliches Stück zu Gesicht, dasselbe hatte ein kleiner Sammler von hier im Besitz, der aber ehrlich genug war, dessen Entstehung zu verraten. Er verständigte uns, dass er vor einigen Jahren nach Amerika ging und seine wenigen Sammelutensilien mit nach dorten nahm, um sie bei passender Gelegenheit benutzen zu können; er fand im Lande des Glücks das gesuchte Wohlergehen nicht, kehrte nach ½ – ¾ Jahren wieder nach seiner Heimat zurück und begann neben seinem Berufe das Sammeln von Faltern wieder. Wie erstaunt war er, als er sein Giftglas zum ersten Male wieder zur Hand nahm! Es befand sich darin noch ein rhamni-Falter, der also mindestens ¾ Jahre darin verbracht hatte und dieser war während der Zeit fast vollständig rot geworden, etwa wie oben erwähnte Aberration rosea oder rubescens. Das Tier wurde alsdann der Kuriosität wegen präpariert im Entomologen-Club vorgezeigt. Seitdem fabrizieren unsere Mitglieder diese Aberration spasseshalber in Menge und verschenken diese bei Gelegenheit eines Tausches an Mitglieder des Intern. Entomol. Vereins. So hat auch mein Freund Daub einige dieser Stücke von unserm Mitglied Herrn J. Aug. Seyfried (Mtgl. 169), hier, erhalten, damit sein einziges Stück nicht mehr allein sei. Wir neigen nun zu der Ueberzeugung, dass sein früher erworbenes Stück auch auf diese Weise entstanden ist, obwohl dafür kein Beweis erbracht ist.
Anlässlich des 15jährigen Bestehens des hiesigen Entomologen-Clubs hatten wir hier eine Ausstellung und waren dortselbst in der Vereinssammlung ca. 6–8 Stück dieses Kunstproduktes zu sehen. Auch Herr M. Korb und F. Dannehl bekamen anlässlich ihres Hierseins im vergangenen Spätjahr einige Stücke von Herrn Seyfried dediziert, vielleicht haben verschiedene Mitglieder des Intern. Vereins auf der letzten Reise jener Herren in Deutschland Gelegenheit gehabt, diese zu sehen und ich glaube, wer sich dafür interessiert, kann heute noch, natürlich gegen Ersatz der Unkosten, von genanntem Mitglied unseres Clubs solche Stücke gratis erhalten. Sonst steht es ja frei, Versuche selbst zu machen. Das Cyanglas muss aber feucht sein; im trockenen Glas reagiert rhamni nicht. Jeder hat es in der Hand, die Farbe von hellrot bis dunkelrot in allen möglichen Schattierungen zu fabrizieren, auf der ganzen Flügelfläche oder Teilen dieser, je nachdem er den Falter länger oder kürzer in dem Giftglase belässt. Soviel ich weiss, zeigt sich die Farbe schon nach 2–3 Wochen; auch Colias palaeno-Falter reagieren auf dieselbe Art im Giftglas.
Wenn ich nun den Beweis, es handelt sich in dem Falle Gillmer um eine solche Kunstfärbung, nicht erbringen kann, so kann ich mich eines solchen Verdachtes nicht erwehren. Jedenfalls mögen diese Zeilen unbefangene Raritäten-Liebhaber davor schützen, von einem Schönfärber oder durch dritte Hand wissentlich oder unwissentlich geschädigt oder getäuscht zu werden.

Nun sind ganz oder teilweise rote Zitronenfalter in verschiedenen Werken abgebildet; besonders in der angelsächsischen Literatur. Ob sie alle auf die gleiche Weise entstanden sind, künstlich hergestellt? Oder ob es auch in der Natur unter bestimmten Bedingungen zu einer Rotfärbung kommen kann? Die entscheidende Frage ist: Hat schon mal jemand einen roten Zitronenfalter im Freiland gefangen?

Ein unsymmetrisch roter Gonepteryx rhamni mit den mageren Daten „Dorking. 1.8.1937. Dr H. King. ex Bolton Coll. (B.M.N.H., Watson coll.)“, gezeichnet von A. D. A. Russwurm (1978)

Die in der Literatur und im Internet gezeigten „roten“ Zitronenfalter sind alle nur teilweise rot und sehen meistens so aus, als ob da tatsächlich die lokale Einwirkung einer Flüssigkeit oder Farbe am Werk gewesen wäre, das heißt sie wirken künstlich. Diese hier beispielsweise:

http://www.britishbutterflyaberrations.co.uk/images/uploads/main/main/75EWavKI3A6KrPB.jpeg
http://www.britishbutterflyaberrations.co.uk/images/uploads/main/main/MzMb9axyN2eehsx.jpeg
http://www.britishbutterflyaberrations.co.uk/images/uploads/main/main/nNY9i4GaInGh5h6.jpeg

Die Frage muß wohl offenbleiben, bis mal jemand einen wilden roten Zitronenfalter im Freiland fotografiert.

Literatur
Dietrich, C. (1907): Rote Citronenfalter. – Entomologische Zeitschrift, 21: 212-213.
Russwurm, A. D. A. (1978): Aberrations of British Butterflies. – Faringdon (E. W. Classey Ltd). 151 S. 40 Farbtaf.  

Schaufuß, C. (1908): Rundschau. – Entomologisches Wochenblatt (Insekten-Börse), 25: 5. [Kurzzusammenfassung von Dietrichs Aufsatz]
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