Schmetterlingspraxis für Fortgeschrittene – Datumsangabe bei Nachtfängen nach Mitternacht

Es gibt einige Konventionen, die leider zu den ungeschriebenen Regeln zählen und deshalb Anfängern oft unklar bleiben. Dazu gehört die Behandlung des Datums, wenn sich ein Nachtfang über die Datumsgrenze um Mitternacht hinzieht. Das betrifft ja fast alle Lichtfangbeobachtungen, jedenfalls alle üblichen Lichtfalleneinsätze, bei denen die Lichtfalle am Abend ausgebracht und am Morgen ausgewertet wird.

In allen Projekten, die ich kenne, wird das so gelöst, daß man nur das Kalenderdatum der ersten Nachthälfte angibt bzw. eingibt, egal wie lange sich die Beobachtungen noch nach Mitternacht ins folgende Datum hin erstrecken. Das ist die praktische und sinnvolle Lösung. Die Nacht wird also durch ihren Anfang definiert.

Alle anderen theoretisch denkbaren Lösungen sind unpraktisch oder unlogisch.

  • Man könnte einen Zwei-Tages-Zeitraum eingeben, etwa 12.6.-13.6., was den Nachteil hat, daß solche Daten sich in taggenauen Flugzeitdiagrammen nicht gut darstellen lassen: Ist beispielsweise nur ein Individuum beobachtet worden, dann müßte man für den 12. 6. und den 13.6. je ein halbes Individuum eintragen[1]. Außerdem lassen sich solche Angaben nicht von Lichtfallenergebnissen unterscheiden, bei denen die Falle in zweitägigem Abstand geleert wird, der Erfassungszeitraum also zwei Nächte umfaßt.
  • Man könnte alle Arten sowohl für den 12.6. als auch für den 13.6. eintragen. Dann hätte man aber eine Verdopplung der Individuenzahl, die nicht der Realität entspricht.
  • Wer die Arten sehr genau registriert, könnte für alle Individuen, die bis 24:00 Uhr anfliegen, das Datum der ersten Nachthälfte und für die, die ab 0:00 Uhr anfliegen, das Datum der zweiten Nachthälfte angeben. Das ist meistens nicht praktikabel, weil man dann jedes Tier beim Anflug einfangen und registrieren müßte – bei individuenreichen Anflügen und bei unbeaufsichtigten Lichtfallen eine Unmöglichkeit.

Entscheidend ist, daß alle Daten aus ein und demselben Beobachtungsereignis zusammen bleiben. Für die nachtaktiven Arten ist eine Nacht eine zusammenhängende Aktivitätsperiode, so wie ein Tag für die tagaktiven Arten. Darum gilt die eingangs genannte Lösung als die sinnvollste. Der flexible Umgang mit der Datumsgrenze ist eindeutig das geringere Übel. Zwar können einzelne Arten zeitlich eingenischt sein (z.B. spät nach Mitternacht oder gegen Morgen fliegende Arten wie Chelis maculosa), aber das kann man gegebenenfalls durch entsprechende Bemerkungen bei der Datenerfassung solcher Individuen festhalten.

Sonderfälle

Wie verfährt man, wenn man seine Lampe erst nach Mitternacht eingeschaltet hat, also zum Beispiel am 12./13.6. um 0:30 Uhr? Auch dann ist es sinnvoll, das Datum des Nachtbeginns (12.6.) zu verwenden. Denn wenn man in der folgenden Nacht, die am Abend des 13.6. beginnt, ab 22:00 h leuchtet, sollte man diese Daten von denen der vorigen Nacht unterscheiden können. Und man sollte sie mit anderen Nachtfangergebnissen der Nacht 12./13.6. vergleichen können.

Wenn ich spät heimkomme und erst nach Mitternacht die Schwarzlichtlampe auf dem Balkon kontrolliere, notiere ich die Arten grundsätzlich unter dem Datum des Nachtbeginns; die Lampe hat sich ja schon in der Dämmerung eingeschaltet.
Man kann das auch für Einzelfunde so handhaben: Wer um 2:00 Uhr morgens mit dem Hund Gassi geht und dabei einen Nachtfalter an der Straßenbeleuchtung notiert, kann in den allermeisten Fällen davon ausgehen daß das Tier auch schon in der ersten Nachthälfte aktiv oder zumindest vorhanden gewesen ist. Aber in diesem Spezialfall kann es unterschiedliche Meinungen geben. Wenn es sich nicht um ganze Listen sondern nur um Einzelbeobachtungen handelt, sind beide Alternativen vertretbar.

Probleme

Wenn man fotografiert, hat man das kalendarische Datum in den EXIF-Daten. Das kann zur Folge haben, daß bei einer Fotoserie um Mitternacht bei den ersten Bildern der 12.6. und bei den letzten der 13.6. festgehalten wird – manchmal bei ein und demselben Individuum. Was man in solchen Fällen in der faunistischen Datenbank seiner Wahl einträgt, ist wiederum sinnvollerweise das Datum des Nachtbeginns, damit die Daten eines Beobachtungsereignisses und Fundorts zusammen bleiben.

Wer Smartphone-Fotos mit einer App irgendwo hochlädt – sei es im Internet oder in Datenbanken – wird dieselbe Erfahrung machen. Benutzt das Programm oder die Webseite das Datum aus den EXIF-Daten oder den Meldezeitpunkt, dann werden die Nachweise einer Beobachtungsnacht auseinandergerissen. Schlimmer noch, die Beobachtungen aus der zweiten Nachthälfte werden mit den Daten der ersten Nachthälfte der folgenden Nacht zusammengeworfen. Also eine doppelte Fehlerquelle. Wird beispielsweise ein seltener Wanderfalter – sagen wir mal ein Linienschwärmer – beim nächtlichen Einflug nach Mitteleuropa an einem Fundort um 22:00 h und an einem anderen Standort um 1:30 h registriert, dann sieht es im Flugzeitdiagramm so aus, als ob die Falter in zwei verschiedenen Nächten gefunden worden seien, obwohl es nur eine einzige Einflugnacht war.
Das tagesgenaue Beobachtungsdatum ist also bei nächtlichen Beobachtungen gar nicht so genau und muß im Einzelfall hinterfragt und überprüft werden – bei digitalen Daten anhand der Uhrzeit, sofern die Uhrzeit mitprotokolliert wird. Ein eigentlich nicht zu bewältigender Aufwand für die Bearbeiter von Nachtfalterdaten.
Erfassungsprogramme, die die EXIF-Daten von Fotos oder den Zeitpunkt der Dateneingabe als Datengrundlage verwenden, sollten also dem Melder die Alternative lassen, Daten aus einer Beobachtungsnacht unter dem Datum des Nachtbeginns zusammenzufassen. Dies sollte beim Programmieren von Erfassungsprogrammen eingeplant werden.

Ausnahmen: Echte Zeitraum-Angaben
Früher war es eine verbreitete Praxis, unter schwierigen Bedingungen – etwa auf Expeditionen – mehrere Sammeltage am selben Fundort auf dem Etikett zusammenfassen. Dann kann man z.B. lesen: „Wadi Halfa, 8.-11. Juni 1935“ oder „Dolok Merangir, 20.-31.VII.1969“. Manche Sammler machen das auch heute noch so, meistens aus Bequemlichkeit.
Wenn Lichtfallen, Malaisefallen oder andere Fallentypen in Abständen von mehreren Tagen geleert werden, dann kann wegen dieser Methodik nur ein Zeitraum angegeben werden. Solche echten Zeitraum-Angaben müssen von normalen Leuchtnächten unterschieden werden können.

Zusammenfassung

Bei Beobachtungsereignissen, die sich über eine Datumsgrenze erstrecken – das sind in der Regel Nachtfänge (Lichtfang, Lichtfallenfang usw.) – wird traditionell das Datum der ersten Nachthälfte auch für die Beobachtungen der zweiten Nachthälfte angegeben. Die Entomologen machen das seit Jahrzehnten so. Viele Nicht-Entomologen oder auch die reinen Tagfalterbeobachter dagegen sind sich des Problems oft nicht bewußt und müssen entsprechend aufgeklärt werden.

Erfassungsprogramme, die ihre Daten aus Echtzeit-Direkteingaben oder den EXIF-Daten von Fotos beziehen, sollten flexibel genug sein, um eine manuelle Anpassung des Beobachtungsdatums zu ermöglichen.

Ist das überhaupt wichtig?

Man kann sich fragen, ob man die Genauigkeit überhaupt so weit treiben muß. Ich höre manchmal das Argument: Je mehr Daten in Flugzeitdigrammen kumuliert dargestellt werden, umso mehr geht eine eventuelle Ungenauigkeit im Gesamtdatenbestand unter. Manche Flugzeitdigramme zeigen die Daten auch nicht taggenau sondern nach Dekaden oder Monaten zusammengefaßt. Und auch der Einflug von seltenen Wanderfaltern ist meistens nicht auf einzelne Nächte beschränkt sondern verteilt sich auf einen gewissen Zeitraum. All das ist richtig. Aber es sollte nicht passieren, daß die Beobachtungsdaten eines diskreten Beobachtungsereignisses wie eben eines Nachtfangs/Lichtfangs auseinandergerissen werden. Man würde ja auch Tagfalterbeobachtungen nicht auf zwei Listen verteilen, wenn der Datumswechsel bei zwölf Uhr mittags läge. Wenn tatsächlich auf eine bestimmte Nacht bezogene Effekte im Spiel sind – beispielsweise gleichzeitiges Auftreten einer Art an verschiedenen Standorten oder durch bestimmte Wettersituationen bedingte Phänomene – dann ist es wichtig, das erkennen zu können und die Daten so genau wie möglich zu erfassen (so genau wie es die Erfassungsmethodik hergibt). Ungenauer machen kann man Daten hinterher immer noch.


[1] In manchen Diagrammprogrammierungen ist das tatsächlich so gelöst, daß in so einem Fall für jeden Tag ½ Individuum angezeigt wird. Oder bei einem 7-Tage-Zeitraum dann entsprechend 1/7 Individuum pro Tag undsoweiter.
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Eine Antwort zu Schmetterlingspraxis für Fortgeschrittene – Datumsangabe bei Nachtfängen nach Mitternacht

  1. Armin Dahl schreibt:

    „…ist es wichtig, das erkennen zu können und die Daten so genau wie möglich zu erfassen (so genau wie es die Erfassungsmethodik hergibt). “ ja, und deshalb ist es meines Erachtens völlig ok z.B. Fotos mit genauen Funddaten zu verarbeiten. Die Traditionen helfen dabei nicht wirklich weiter. Warum sollte ich z.B. einen Pappelschwärmer auf den Vortag datieren, der praktisch immer weit nach Mitternacht auftritt. (mal ganz abgesehen von der Sommerzeit). Und was ist mit den Faltern die morgens noch an der Haustürlampe sitzen, aber um 3 Uhr noch nicht da waren? Und mit Lichtfallenfängen? Daß die Beobachtungsdaten eines diskreten Beobachtungsereignisses wie eben eines Nachtfangs/Lichtfangs auseinandergerissen werden, das ist ja im Prinzip ein Problem der Datenverarbeitung und nicht der Erfassung. Wie heißts so schön: „Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht“. Die Rohdaten können meines Erachtens gar nicht scharf genug sein. 🧐

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